Die Rehabilitierung russischer Tannen

Wie der Weihnachtsbaum in die Sowjetunion kam. Ausnahmsweise sehr sachlich geschrieben.

postyschew1935.

Stalin und die Säuberungen.

Was uns bis heute blieb, ist die Prawda.

Am 28. Dezember enthält das “Organ des ZK der KPdSU” den Rechenschaftsbericht des Genossen S. S. Lobow auf einem Plenum zu Fragen der Waldwirtschaft und der Stachanow-Stoßarbeiter-Bewegung. Ein weiterer Artikel trägt die Überschrift “Die sowjetische Handelsflotte wächst und erstarkt”.

Ach-ja, und: Amerikanische Armenier sandten ein Telegramm an Genossen Kalinin. Demnach verlassen sie das Territorium der UdSSR mit unvergesslich-schönen Erinnerungen, danken dem Sowjetvolk für erwiesene Gastfreundschaft und bringen „tiefe Gefühle der Befriedigung“ zum Ausdruck, über alles, was sie sahen.

Ebenfalls auf Seite 1, nur unten, unscheinbar, etwas seitlich steht:

Lasst uns für unsere Kinder zum Neujahr eine hübsche Tanne organisieren!

Der zugehörige Artikel trägt die Unterschrift des Massenmörders P. P. Postyschew.

Postyschew gilt heute als einer der Organisatoren des “ Roten Terrors” in Sibirien. Ihm selbst wurden innerhalb der Bolschewiki unverhältnismäßige Grausamkeiten zugeschrieben. Später organisierte Pawel Petrowitsch in der Ukraine Repressalien gegen die Intelligenz (1932-37),  “säuberte” bei der Gelegenheit auch die ukrainische KP von sogenannten Nationalisten, die im Weiteren meist mit Hilfe gefälschter Beweise oder erfolterter “Geständnisse” inhaftiert und teils hingerichtet wurden.

1937, als Vertreter des Obersten Gerichtshofes der UdSSR, entsandte “man” Postyschew nach Kuibyschew, wo eine örtliche Parteikonferenz unter seiner Leitung die Schädlingsarbeit von Volksfeinden “analysierte” – insbesondere deren unzureichende Verfolgung durch die verschiedenen Parteigliederungen [sic!], so dass im Ergebnis 110 Gebietssekretäre verhaftet und 30 Bezirksparteikomitees aufgelöst wurden.

Treppenwitz der Geschichte: Der Genosse Postyschew ist heute in Russland weniger für Massenmord, sondern vor allem für “seine Rehabilitierung des Weihnachtsbaumes” bekannt, weil er in eben jener Prawda – für viele Leser überraschend –  forderte, „das Vergnügen der Reichen aus vorrevolutionärer Zeit für alle Kinder als sowjetischer Neujahrsbaum in öffentlichen Gebäuden“ möglich zu machen.

Hierzu gab es im Übrigen keinen Politbüro-Beschluss. Postyschew hatte die Tannenbaum-Rehabilitierung, die im ganzen Land aufgegriffen wurde, persönlich mit Stalin abgesprochen. Sie ging einher mit einem gewissen gesellschaftlichen Wandel, wie der Abschaffung von Lebensmittelkarten, der beginnenden Produktion sowjetischen Sekts, wie auch der Zulassung von Jazz und Foxtrott.

Retrospektive Reflektion

Autobahn. Ich und er.

Was ich gut fand, an der DDR, was an ihr schlecht, wurde ich unterwegs plötzlich gefragt und wusste in diesem Augenblick nicht, was man hierauf mit Vernunft sagen könnte.

Nun wache ich auf.

Die DDR – denke ich – ist wohl das objektive Ergebnis der Detonationen des letzten europäischen Krieges. Wäre die Sowjetarmee – beispielsweise – in Bayern einmarschiert, hätten die Bayern genau diese DDR gehabt und keine Bananen. So aber kam das System über Mitteldeutschland wie ein Naturgesetz.

Und Subjektiv ist auch objektiv, denn jeder Einzelne entscheidet sich schließlich für Integration oder Widerstand, alternativ ~ a bissel schwanger geht nicht – auch das ist ein Naturgesetz. Die hieraus folgende Wechselwirkung hebt oder staucht Charaktere, was inzwischen mit einem Experiment eindrucksvoll bewiesen.

Amboss oder Hammer sein ~ Wärter oder Häftling sein ~~~ ´… @andererseits: Unter Breshnew oder früher wäre jede andersartige – “sozialismusfremde” – Idee niedergewalzt wurden; säße ein starker Putin am Kohlschen Verhandlungstisch, würden wir “deutsche Einheit” als Luxus begreifen und heute noch zahlen.

Was mir allerdings peinlich ist: Dass ich seinerzeit eine Idee akzeptierte, welche Menschen klassifiziert wie zuvor im Mittelalter und dass der sogenannte “Klassenkampf” nur einer Legitimation diente, mehr nicht.

Was im Übrigen alles nicht von Bedeutung. Der Status quo ist heute einfach nur besser schlecht – mehr nicht.

Menschen sind so.

Pyrotechnische Urlust

Irgendwann müssen unsere Ur-Urzellen angefangen haben, Informationen zu speichern, um sich besser anpassen zu können. Sonst gäbe es uns Jetztmenschen nicht.

Uns sind daher zahlreiche Informationen aus dem Urwald erhalten geblieben, die heute über gewisse Auslöser aktiviert werden, ohne dass wir sofort wissen, wieso. Zum Beispiel entspricht das Quietschen von Kreide auf einer Schultafel ziemlich genau dem Urschrei aus dem Kehlkopf eines unserer Vor-Vorfahren. Sollte eine Lucy vor 3,2 Millionen Jahren vor großer Gefahr gewarnt werden, klang das wie zu DDR-Zeiten das Quietschen von Kreide auf Tafel oder eine Straßenbahn aus Gotha, wenn diese in eine Kurve vor. Was den Ossis – genetisch bedingt – Gänsehaut über den Rücken trieb.

Gleichwohl muss es ebenfalls etwas gegeben haben, was unsere Vor-Vorfahren so freudig erregte, dass es als Glücks-Information in der DNA abgelegt ist.

Feuer – kann ich mir vorstellen – machte einen Afropithecus ebenso glücklich, wie auch jeden Homo rudolfensis oder jeden Homo habilis. Feuer bedeutet Wärme und Schutz. Und wer es sich nicht selbst machen kann, ist glücklich wenn er es findet.

Deshalb freuen wir uns über Pyro besonders wenn wir erregt sind.

pyro_chaoten

Die Menschen am Zaun (auf dem Bild oben) sind erst in zweiter Linie Chaoten. In erster Linie sind es glückliche Menschen, die ihrem Urtrieb folgen. IHRER URLUST.

pyroWitzigerweise teilt man Pyro in “Böses Feuer – Gutes Feuer” ein.

Böses Feuer kommt von Chaoten, die gern randalieren und dabei kokeln, gutes Feuer kommt aus Potsdam oder aus dem Internet –

http://www.feuerwerkersinfonie.de/

Tödlicher Irrtum

dzerjinsky_schwertAls Feliks Dserschinski am 20. Dezember 1917 beauftragt wurde das “Allrussische Außerordentliche Komitee zur Bekämpfung von Konterrevolution und Sabotage” – die Tscheka – zu organisieren, kannte er nur wenige von Lenins Gewohnheiten. Zudem hatte er sehr viel zu tun, denn unmittelbar nach der Heldenhaften Ruhmreichen Großen Sozialistischen Oktoberrevolution streikte der Apparat.

Was tun? – Was tun, wenn der Beamte renitent?

Die Diktatur des Proletariats schuf sich eine Lösung in Gestalt des ersten Gefangenenlagers für politische Häftlinge – Konzentrationslager* – in der Provinz Pensa: gegründet im August 1918 auf unmittelbare Anweisung Lenins.

Die Zahl der Inhaftierten betrug im Mai 1921 etwa 16.000 Personen und stieg bis September 1921 auf über 70.000 Personen an. Peanuts – im Vergleich zu dem, was später unter Stalin während der Großen Säuberung verhaftet wird. Es war der Anfang.

 

rev_terror

Auf dem Transparent steht: “Ins Gefängnis mit den Saboteuren. Der revolutionäre Terror ist gegen sie gerichtet”

~

Eine Revolution verdient nur dann den Namen “Revolution”, wenn sie sich auch zu verteidigen weiß. Solche Sprüche gab es in der Schule, in der ich lernte zuhauf.

~

Irgendwann zum Jahreswechsel von 1920 zu 1921 ergab es sich, dass Lenin sich in einer der vielen Beratungen eines der vielen Gremien langweilte. So schrieb er an Felix Dscherschinski – dem “Schwert der Revolution” – eine Frage auf einen Zettel

“Sag mal Felix Edmundowitsch, wie viele Volksfeinde sitzen eigentlich derzeit in unserem Konzentrationslager?”

“Etwa 10.000” war die schriftliche Antwort des Großen Organisators.

Eine Marotte Lenins bestand darin, bereits gelesenen Texten nicht wie üblich mit einem Häkchen (галочка) oder einem Unterschriften-Signet zu zeichnen, sondern mit einem Kreuz. Und als jene Sitzung längst vorbei war, gelangte der von Lenin abgekreuzte Zettel in ein Büro, in welchem er vom eiserne Felix zur Kenntnis genommen ward.

Tags darauf meldete er Lenin Vollzug:

“Befehl ausgeführt!”

~

Ein mörderische Missverständnis.

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* Notabene: Der Name “Konzentrationslager” für die Gefangenschaft politischer Gegner wurde von den Bolschewiki erfunden und von den Deutschen später übernommen. Und dies nicht zufällig. Unmittelbar vor der Machtergreifung weilte eine Delegation aus Deutschland in der UdSSR zum Studium der Lagerwirtschaft. Der Name wurde gleich mitübernommen und später abgekürzt in “KZ”.